Interview mit Martina Frohmader Leiterin der Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der ELKB

Porträtbild Leiterin der Fachstelle - Martina Frohmader

Frage:

Frau Frohmader, die erste Frage betrifft das Motto der Fachstelle und der Landeskirche „Aktiv gegen Missbrauch“. Was bedeutet es, aktiv gegen Missbrauch vorzugehen?

Martina Frohmader:

Das hat viele Aspekte. Aktuell geht es darum, flächendeckend Schutzkonzepte zu initiieren und zu begleiten. Ziel ist es, dass alle evangelischen Einrichtungen und Kirchengemeinden eines haben. Ein wesentlicher Teil davon ist die Sensibilisierung und Schulung aller Mitarbeitenden zum Thema Prävention von sexualisierter Gewalt. Andererseits bedeutet es auch, bei Vorfällen schnell und konsequent im Sinne des Schutzes der Betroffenen zu handeln. Die Intervention muss gut funktionieren, die Anliegen der Betroffenen müssen ernst genommen und sie müssen gut begleitet werden. Insgesamt geht es darum, dass wir den Schutz der uns anvertrauten Menschen und unserer Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellen.

Frage:

Was wurde bisher beim Thema „Umgang mit sexualisierter Gewalt“ erreicht? Welche Schritte konnten in den letzten Jahren unternommen werden?

Martina Frohmader:

Im Bereich der Prävention wurden inzwischen schon viele hundert Schulungen durchgeführt, um ehrenamtliche, wie hauptberufliche Mitarbeitende zum Thema sprach- und handlungsfähig zu machen. Die Arbeit an den Schutzkonzepten hat in der gesamten Landeskirche begonnen, immer mehr werden gerade fertig. Die Arbeitsgruppen begleitet dabei das von der Fachstelle erstellte Handbuch zur Schutzkonzepterstellung mit vielen hilfreichen Vorlagen und Anleitungen.  Bis zum 31.12.2025 haben die Gemeinden und Einrichtungen Zeit dafür.  Die Schutzkonzepte sind wichtige Leitplanken, um das Thema in der alltäglichen Arbeit vor Ort zu verankern.

Frage:

Welche weiteren Strukturen wurden geschaffen?

Martina Frohmader:

Die ELKB hat innerhalb der Fachstelle eine Ansprechstelle, eine Meldestelle und eine Anerkennungskommission aufgebaut, um Menschen in den Gemeinden und Dekanaten zu begleiten, wenn es zu Vorfällen von sexualisierter Gewalt kommt. Niemand soll allein gelassen werden.

Die Ansprechstelle als erste Kontakt- und Clearingstelle für Personen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, wird immer mehr in Anspruch genommen. Der Beratungsprozess wird dabei an die Bedürfnisse der Betroffenen angepasst.

Die Meldestelle ist die Anlaufstelle für alle Verdachtsfälle und Meldungen im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen. Die Mitarbeiterinnen beraten bei der Klärung und begleiten die Maßnahmen im Umgang mit Grenzverletzungen und Übergriffen. Wenn nötig, werden strafrechtliche bzw. arbeitsrechtliche Schritte eingeleitet. Die Beratung durch die Meldestelle wird intensiv genutzt. Wir merken daran, die Arbeit der Fachstelle wird bekannter und immer mehr Mitarbeitende sind sensibilisiert für das Thema.

Die Anerkennungskommission gibt es schon seit 2015. Betroffene können Anträge stellen und erhalten zumindest eine finanzielle Anerkennung für das Leid, das ihnen im kirchlichen Kontext widerfahren ist. Natürlich kann das bei weitem nicht wieder gut machen, was sie erlebt haben.

Frage:

Was passiert aktuell in der Landeskirche in Bezug auf die Beteiligung von Betroffenen?

Martina Frohmader:

Im Dezember 2023 wurde eine Vereinbarung zwischen der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Diakonie Deutschland beschlossen. Ziel ist es, flächendeckend Betroffenenbeteiligung zu gewährleisten und unabhängige regionale Aufarbeitungskommissionen zu schaffen. Erste Expertinnen wurden von der Staatsregierung vorgeschlagen. Im Oktober gab es einen Workshop, bei dem Betroffene über eine Betroffenenvertretung in Bayern beraten haben, die Personen für die Mitarbeit in der Aufarbeitungskommission benennen kann.

Frage:

Wie würden Sie die allgemeine Stimmung zum Thema „Umgang mit sexualisierter Gewalt“ in der Landeskirche beschreiben?

Martina Frohmader:

Es gibt darauf keine einfache Antwort. Es gab einen Höhepunkt in der Wahrnehmung des Themas, als die ForuM-Studie veröffentlicht wurde. Jetzt geht es darum, die Ergebnisse und Empfehlungen, abgestimmt mit der EKD und den anderen Landeskirchen wahrzunehmen und die Arbeitsvollzüge anzupassen. In den Gemeinden vor Ort erleben wir große Offenheit, sich bei Schulungen zu beteiligen. Viele arbeiten sehr engagiert daran Schutzkonzepte zu erstellen. Es entstehen tolle Aktionen, die das Thema Schutzkonzepte den Gemeindegliedern näherbringen, wie z.B. erst vor kurzem in einem Familiengottesdienst der Johannesgemeinde Hallstadt.

Ich finde es auch wichtig, wenn Menschen ehrlich benennen, dass es für sie ein schwieriges und herausforderndes Thema ist. Dann kann man dem begegnen und einen gemeinsamen Weg finden.

Die Aufgabe der Fachstelle und der Kirchenleitung wird es sein, das Thema weiter präsent zu halten. Meine Wahrnehmung ist, dass die Öffentlichkeit unsere Kirche daran messen wird, wie wir damit umgehen. Es muss unser innerer Auftrag sein, die uns anvertrauten Menschen zu schützen. Wenn ein Übergriff geschieht, müssen wir den Betroffenen zur Seite stehen.

Frage:

Welche Herausforderungen sehen Sie speziell für die evangelische Kirche?

Martina Frohmader:

Es gibt grundlegende Fragen, mit denen sich die gesamte Landeskirche auseinandersetzen muss. Es geht um Macht und Autorität in der Kirche, um die Auslegung des Evangeliums und die Theologie. Das sind Themen, die weit über die Arbeit einer Fachstelle hinausgehen. Auch die Frage nach Partizipation und den föderalen Strukturen wurde aufgeworfen. Ich halte diese Strukturen nach wie vor für sinnvoll, aber sie dürfen nicht dazu führen, dass Verantwortung abgeschoben wird. Jede Ebene muss die Verantwortung verbindlich übernehmen, für die sie zuständig ist.

Meiner Meinung nach geht es auch nicht nur um sexualisierte Gewalt, sondern um einen umfassenden Kulturwandel. Es muss eine Kultur der Achtsamkeit entstehen, die über dieses Thema hinaus einen positiven Einfluss auf alle Bereiche der Landeskirche hat. Das ist die Vision, die wir haben.

Frage:

Zum Abschluss: Was wäre Ihr Wunsch an die Kirche?

Martina Frohmader:

Mein Wunsch ist, dass die Kirche weniger Angst hat und das Thema nicht tabuisiert, sondern aktiv angeht. Wir müssen zugeben, dass wir als Kirche nicht vollkommen sind, und das ist auch in Ordnung. Aber wir müssen genau hinschauen und achtsam sein. Das ist der Anspruch, den wir an uns selbst stellen müssen.

Vielen Dank Frau Frohmader für das Gespräch. (AL)